Montag, 28. September 2015

Varför?

Ich sitze auf meinem Platz und möchte am liebsten im Boden versinken. Die Situation ist mir unangenehm - ich schäme mich, obwohl ich nichts falsch gemacht habe. Ich schaue ins Leere, traue mich nicht in die Gesichter meiner Mitschüler zu blicken. 

Dabei hatten wir vor einer Stunde noch so einen Spaß, saßen alle gemeinsam im Stuhlkreis und haben gemeinsam Kleidungsstücke und Farben geübt. Da war nichts unangenehm - ich höre in meinen Ohren noch das Lachen.

Jetzt höre ich nur, wie sie wild durch einander unsere Lehrerin "Varför?" fragen. Soeben hat sie ihnen erzählt, das ich hier nur für ein Jahr da bin und dann wieder zurück nach Deutschland gehe und währenddessen hier in einer Gastfamilie lebe. Eigentlich nicht schlimm - nichts neues. Doch anscheinend schon, sie hatten es vorher noch nicht wirklich mitbekommen. Ich hatte nie das Gefühl erklären zu müssen, was ich hier mache - wieso ich hier bin.

Ich schaue hoch - muss mich irgendwie der Realität stellen. Sie können nicht verstehen, wieso ich das hier mache. Sie fragen, wieso ich nicht in Deutschland weiter zur Schule gehe. Sie stellen nicht viele Fragen - dafür ist der Wortschatz zu begrenzt - doch ich kann die Fragen sehen, in ihren Gesichtern. 

Ich fühle mich irgendwie schlecht. Ich kenne ihre Geschichten nicht - darüber reden wir nicht - ich weis nur, aus welchem Land sie kommen und wann sie nach Schweden kamen. Alles andere ist mir unbekannt, aber ich kann mir denken, dass sie nicht hier sind, weil ihren Eltern ein Job in Schweden angeboten wurde...

Zum Glück machen wir weiter im Unterricht und die Stunde ist bald vorbei - vermutlich ist es längst keine Sache mehr - aber, ich fühle mich trotzdem unwohl. 

Als ich dann Stunden später aus dem Zug aussteige und die Unterführung entlang laufe, sehe ich das jemand einen Stand aufbaut. Ich schaue im vorbeigehen, um was es geht. Werbung für Paintball.
Ich schüttle unbewusst den Kopf - frage mich nur, in was für einer Welt wir eigentlich leben. 


Eure Alexa (heute mal wieder ein bisschen melodramatisch)


"Varför" kann man übersetzen mit warum, wieso, wozu oder weshalb. Und eigentlich fällt mir auf diese Frage selber keine Antwort ein - nicht heute, nicht jetzt.

Nochmal als kleiner Hinweis für neue Leser: es handelt sich hier um meine Schwedischklasse für Immigranten, auch nochmal genauer dazu in diesem Post.

6 Kommentare:

  1. Sehr bewegend, sehr gut geschrieben. Das wird meinen Tag begleiten. Ich hoffe, ihr könnt ganz bald wieder zusammen lachen. Dein Lachen vermisse ich auch ...
    Mama

    AntwortenLöschen
  2. Auch ich finde das sehr bewegend und vor allem finde ich deinen Blog wirklich richtig gut geschreiben (wenn man bedenkt, dass ich jetzt ca. 30 davon gelesen habe). Ich kann deine Emotionen am besten nachvollziehen und ich weiß wie du dich fühlst. Wenn man deine Texte so liest, dann fiebert man immer so richtig mit und irgendwie möchte man dann gerne bei dir sein um zu helfen. Aber leider kann man das nicht so einfach. Toll ist auch das deine Mum das liest und dir den Halt gibt. Man spührt da die Harmonie. LG Denins

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank fuer deinen tollen Kommentar und das dicke Lob!
      Freut mich sehr zu lesen :)

      LG Alexa

      Löschen
  3. Alexandra, wie gerne würde ich dich einfach mal in den Arm nehmen und dick knuddeln. Das muss sich echt schlecht anfühlen - aber denk dran, auch das gehört zu einem Auslandsjahr, Situationen, die man durchstehen muss, um sie mal durchgestanden zu haben. :)
    Und so wie diese Flüchtlinge ihre Geschichte haben, hast du auch deine. Du bist halt nunmal aus einem Land, das man nicht der Religion oder des (eigenen) Friedens zuliebe verlässt, sondern um aus dem 'langweiligen' Trott des eigenen Landes rauszukommen und 'den persönlichen Horizont zu erweitern'. Und zwar freiwillig. Ich denke, das ist es, was sie schockt. Dass du dein Land und deine Familie freiwillig verlässt. Einfachnurso. Aber das ist nunmal so, hey, sowas nennt man Kulturunterschied, auch wenn er von nicht so schönen Dingen eingerahmt und definiert ist. Das bist du. Du, die Austauschschülerin. Und dafür musst und darfst du dich wahrlich nicht schlecht fühlen!!!
    Hab einen wunderschönen Abend, Alexa <3 und wenn was ist, komm ruhig zu mir ;)
    Deine Vera

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke fuer deinen super suessen Kommentar!
      Wuensche dir auch noch einen schönen Abend und morgen einen guten Tag!
      Ich freu mich schon, wenn ich euch alle beim Stockholm-Trip sehen kann!

      Löschen
  4. Hey Alexandra
    Habe gerade deinen Blog wieder entdeckt. Du schreibst sehr schön. Ich verstehe ziemlich gut was du meinst. Als ich meiner alten Klasse vor dem Schulwechsel sagen musste, dass ich wechsele. Das war das gleiche Gefühl. Ich hoffe dir geht es gut. Dass du mit der schwedischen Sprache und Kultur zurechtkommst.
    Franziska

    AntwortenLöschen